
Moderner Stoizismus
Die Stoa ist eine vielschichtige philosophische Denkrichtung, deren Entwicklung von der Antike bis in unsere Tage reicht. Ich möchte Ihnen einen kurzen Einblick in die Quintessenz der Stoa geben und erklären, warum “moderner Stoizismus” gerade in unserer heutigen, herausfordernden Zeit derart wichtig ist.
Um ca. 300 v.Chr. begann Zenon von Kition in der bemalten Säulenhalle (Stoa poikilÄ“) auf dem Marktplatz von Athen seine Lehren zu verbreiten und begründete damit die Schule der Stoa. Zenons wichtigste Erkenntnis bestand darin, dass das Lebensglück nicht von äußeren Faktoren wie Reichtum oder Ruhm, sondern von der inneren Lebenseinstellung abhängt. Ziel war es, einen ausgeglichenen Zustand der Seelenruhe zu erreichen. Er vertrat die Ansicht, dass wir uns in erster Linie unentwegt um Dinge sorgen, die nur einen relativen Wert besitzen und die für ein gelungenes Leben irrelevant sind.
Gesundheit, Reichtum und gesellschaftliche Anerkennung sind nach dieser Sichtweise an sich keine guten Dinge, sondern günstigstenfalls Vorteile oder Chancen. Ihm ging es in seiner Philosophie nicht darum, einen vergeistigten, abgehobenen Zustand zu erreichen, bei dem man alle weltlichen Werte wie Gesundheit, Besitz und Reputation hinter sich lassen sollte. Was Zenon angestrebt, ist ein besserer Umgang mit all diesen Aspekten, die nach seiner Erkenntnis nur einen relativen Wert besitzen.
Für die Stoiker besteht das Lebensziel nicht in einer Anhäufung möglichst zahlreicher äußerlicher Vorteile, sondern aus den uns zur Verfügung stehenden materiellen und immateriellen Gütern möglichst klugen Nutzen zu ziehen.
Zenon von Kition

Dabei bilden zwei bedeutende Feststellungen im Mittelpunkt der stoischen Philosophie:
Lebensglück ist eine Blickwinkel-Frage:
Einzig und allein die richtige innere Einstellung kann wirklich tiefe Zufriedenheit bewirken. Diese entsteht durch tugendhaftes Verhalten (altgriechisch: aretḗ) gegenüber seinen Mitmenschen und dem Leben in Übereinstimmung mit den eigenen Werten. Äußerliche Sachen wie Reichtum und Prestige spielen dabei keine Rolle.
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Lebensglück ist Übungssache:
Die richtige Lebenseinstellung ist kein theoretischer Lehrinhalt, sondern muss eingeübt werden und dies Tag für Tag. So lässt sich Stoizismus am ehesten als ein philosophisches Training beschreiben, in dem durch verschiedene Übungen ein Zustand der Ruhe und Ausgeglichenheit erreicht wird, mit dem man letztlich für alle Widrigkeiten und Herausforderungen des Lebens gewappnet ist und innere Zufriedenheit erfährt.
Die Stoa beschäftigt sich mit ganz grundsätzlichen ethischen Fragen. Wobei ihre Gewichtung dabei weniger auf einem Richtig oder Falsch im moralischen Sinn liegt und sie auch keine diesbezügliche Absolutheit für sich in Anspruch nimmt. Im Gegensatz zu Ideologien und Religionen war die Stoa nie dogmatisch oder doktrinär. Zwar gibt es stoische Vorbilder und Ideale, jedoch gab es keine Anführer oder Würdenträger. Stoizismus verlangt keinen Glauben ab, sondern vermittelt durch philosophische Übungen innere Grundhaltungen und einen Lebensstil, die unmittelbar auf die Umwelt einwirkt.
Die Stoa beruft sich nicht auf endgültige Maxime, nicht auf ein starres Regelwerk, sondern gibt dem Übungswilligen Werkzeuge der praktischen (Selbst-)Erprobung und des Erkenntnisgewinns in die Hand.
So kennt die Stoa auch keine Patentrezepte auf alle Lebensfragen, vielmehr bietet sie Richtschnur und Orientierung für individuelle Erfahrungen.
So fordernd die Stoa sein mag, verlangt sie doch keinen Perfektionismus, sondern stetiges ehrliches Bemühen um ein Ideal.
Die Beschäftigung mit der Lehre der Stoa bringt große Vorteile mit sich:
Sie vermag es, den Blickwinkel auf unser Leben zu verändern und leitet uns mit praktischen Übungen zu einer neuen, klaren Sichtweise: Ein glückliches und gutes Leben wird nicht durch permanente Verbesserung der Lebensumstände- und Standards erreicht, sondern durch die Wertschätzung des bereits Erreichten und Verfügbaren.
Die Stoa zeigt uns nicht nur die Grenzen auf, die unser alltägliches Leben und seine Erfordernisse uns diktiert, sondern auch den Freiraum innerhalb jener Grenzen. Durch die Stoa können wir nicht nur unsere eigene Unvollkommenheit akzeptieren, sondern wir erkennen auch unsere Ressourcen und Möglichkeiten.
Die Werkzeuge der Stoa sind inhaltlich leicht zu vermitteln, ihre Anwendung ist jedoch eine
stetige Herausforderung, die jedoch letzten Endes zu Stärke, Ruhe und einem guten Leben führt.
Die Begriffe “Philosophie” bzw. “das Philosophieren” assoziiert man heute in erster Linie mit einem akademischen Fachbereich unter Professoren. Dabei war besonders die antike Philosophie - neben dem Erkenntnisgewinn - hinsichtlich der Beschaffenheit der Welt, vor allem auf Alltagstauglichkeit ausgerichtet, dies gilt in ganz besonderem Maß für die Stoa: Sie trug dazu bei ein gutes Leben zu führen und mit jedem folgenden Tag ein besserer Mensch zu werden. Bis heute hilft uns die Stoa dabei uns auf das wirklich Bedeutende im Leben zu fokussieren und weniger Energie an Dinge und Tatsachen zu verschwenden, die wir in Wahrheit gar nicht beeinflussen können. Die Stoa stellt das in den Mittelpunkt, worauf wir tatsächlich Einfluss haben.
„Von den Dingen stehen die einen in unserer Gewalt, die anderen nicht. In unserer Gewalt stehen: unsere Meinung, unser Handeln, unser Begehren und Meiden — Kurz: all unser Tun, das von uns ausgeht.
Nicht in unserer Gewalt stehen: unser Leib, unser Besitz, Ansehen, äußere Stellung — mit einem Worte: alles, was nicht unser Tun ist.”
Epiktet

Wollen wir uns auf das wirklich Beeinflussbare in unserem Leben konzentrieren, sollten wir uns in erster Linie mit unseren Einstellungen und unseren Ansichten beginnen.
Die Stoa zeigt den Weg zu einer unerschütterlichen Seelenruhe und Ausgeglichenheit, die selbst den widrigsten Umständen und härtesten Prüfungen standhält.
Dabei wirbt die Stoa nicht mit platten Heilsversprechen oder Trostpflastern, sondern bietet eine Palette an über Jahrhunderte lange erprobter Übungen, die täglich anwendbar sind.
Stoizismus und Stoa sind kein Selbstoptimierungstool für hippe Startup-Unternehmer oder ein Wellnessprogramm für Manager - Stoizismus ist ein Lebensstil.