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Abgenutzte Dankbarkeit

Autorenbild: Dietmar GumprechtDietmar Gumprecht

Warum die meisten Dankbarkeitsübungen unerwünschte Nebenwirkungen aufweisen und was besser wirkt.



Dankbarkeit macht glücklich, liest man schon seit Jahren in unzähligen Lebensratgebern, Blogartikel und Zeitschriften. Sich immer wieder daran zu erinnern, wofür man dankbar ist, soll trübe Gedanken vertreiben und uns ein angenehm warmes Gefühl vermitteln. So wird zum Führen eines Dankbarkeits-Tagebuches geraten, diverse Achtsamkeitsübungen, die sich den Dingen zuwenden, für die wir dankbar sind, werden empfohlen.

Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden und auch die recht junge Psychologiesparte der Glücksforschung bestätigt die positiven Effekte einer dankbaren Grundhaltung. Dennoch hat die Dankbarkeit auch Aspekte, die nicht unerwähnt bleiben sollten.


Dankbarkeit als Vermeidungstaktik?

So sieht Prof. Dirk Lehr von der Universität Lüneburg in einer übertriebenen Dankbarkeitshaltung auch die latente Gefahr beinhaltet, sich negativen Gefühlen wie Enttäuschung und Wut nicht stellen zu wollen.

  Der schweizer Autor Rolf Dobelli fragt sich auch, wem gegenüber Atheisten dankbar sein sollten. Außerdem kann jeder der es ausprobiert, bald feststellen, dass sich bei den diversen Dankbarkeitsübungen relativ rasch ein gewisser Gewöhnungseffekt einstellt und das tägliche Suchen, nach fünf Dingen, für die wir dankbar sind, bald zu einem sinnentleerten Ritual verkommt.


Die stoische Form der Dankbarkeitsübung

Auch der Stoizismus leitet zu einer grundsätzlichen Dankbarkeit an, geht dabei aber andere Wege, als es etwa die positive Psychologie tut. Es ist dies eine Variante der sogenannten praemeditatio malorum, womit grundsätzlich die meditativ-geistige Vorwegnahme möglicher negativer Ereignisse und Katastrophen verstanden wird. In diesem Blog wird dieser Begriff sicher immer wieder mal auftauchen.

 Die Grundidee dahinter ist, sich mental auf die Möglichkeit bevorstehendes Ungemach einzustellen.

Die erwähnte Variante nennt die moderne Psychologie mentale Subtraktion. Diese ist bei weitem wirksamer als jede populäre Dankbarkeitsübung und hat zusätzlich den Vorteil, sich im Laufe der Zeit nicht abzunutzen.


Dabei geht man wie folgt vor:


  1. Wähle aus deinem Leben eine Sache, oder ein Attribut, das für dich elementar wichtig ist und das ein Leben nachhaltig bereichert. Das kann dein Partner, deine Freundin, deine Wohnung, dein Job oder auch ein gesundheitlicher Aspekt sein.

  2. Stell dir nun dein Leben ohne diese Sache vor und zwar nicht nur ein bisschen, sondern richtig bildlich, oder noch besser mit allen Sinnen. Versuche dich in jenen Zustand zu versetzen, der dein Leben ohne diese Sache wäre. Wie wäre es, deine Frau zu verlieren? Deinen Job? Deine Fähigkeit zu Laufen oder zu Sehen? Wie würde sich das anfühlen? Wie viel anders wäre dein Alltag? Verweile einige Zeit lang in dieser Vorstellung und versuche sie immer konkreter und plastischer werden zu lassen.

  3. Atme tief ein und aus und bring dich schön langsam wieder in die gegenwärtige Realität zurück. Reflektiere, wie du dich nun fühlst.


Die meisten Menschen empfinden nach dieser Übung ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit, das bei weitem anders wirkt, als nach den sonst üblichen Ritualen. Dies wurde auch von den beiden Professoren Dan Gilbert und Timothy Wilson von der University of Virginia in einer Studie untersucht und bestätigt. Die beiden Wissenschaftler wiesen dabei außerdem nach, dass diese uralte stoische Übung keinem Gewöhnungseffekt unterliegt.

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