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Die Illusion des Ichs

Autorenbild: Dietmar GumprechtDietmar Gumprecht

Du liegst am Pool deines Hotels und genießt deinen wohlverdienten Urlaub. Du betrachtest die glitzernde Wasseroberfläche während du, wohlig in die von der Sonne aufgewärmten Liege geschmiegt an deinem Cocktail nippst.

Du schmeckst Cocos, Vanille und versuchst die dritte Geschmacksrichtung zu erraten. Nebenbei riechst du ein wenig das Chlor im Poolwasser und eine Mischung verschiedener Sonnencremes. Das Lachen heller Kinderstimmen und das Geplauder der beiden Frauen auf der gegenüberliegenden Seite des Pools lullt dich ein.


Das Merkwürdige daran ist nur: Streng genommen ist da nichts, was glitzert oder schmeckt oder riecht. Weder der Cocktail hat einen Eigengeschmack, noch hat die Sonnencreme einen bestimmten Duft. Diese entstehen erst in deinem Kopf. Die Welt da draußen besteht eigentlich aus elektromagnetischen Wellen, Gravitationswellen, Teilchen die gleichzeitig auch Welle sein können und vielem mehr, das unseren Rezeptoren verborgen bleibt. Es ist dein Gehirn, das die Welt mit Hilfe deiner Sinne konstruiert.


Es erzeugt eine farbenfrohe bunte und klingende Umgebung. Was wir als Wirklichkeit ansehen ist in Wahrheit ein Konstrukt unseres Gehirns.


Unser Gehirn der Illusions-Generator

Wie schöpferisch unser Gehirn bei dieser Konstruktions-Arbeit ist, verdeutlicht folgendes Beispiel:



Unsere Augen können in Wirklichkeit nicht die gesamte Umgebung exakt erfassen, deshalb ist die periphere Sicht eigentlich immer verschwommen. Der einzige Teil der Netzhaut, der scharfes Sehen ermöglicht, wird als Fovea bezeichnet. Dieser scharfe Bildausschnitt hat in etwa die Größe deines Daumennagels wenn du den Arm ausstreckst. Warum wir dennoch den Eindruck haben, eine durchgehend scharf gezeichnete Umgebung wahrzunehmen hat eine Forschergruppe der Universität Bielefeld mit Hilfe von Eyetracking-Kameras untersucht. Sie kamen zu dem Schluss, dass wir Menschen im Laufe unseres Lebens anhand unzähligen Blickbewegungen lernen, den unscharfen Seheindruck von Gegenständen außerhalb der Fovea mit dem scharfen Bild nach der Augenbewegung zu verknüpfen.


Wenn du im Augenwinkel unscharf ein vorbeifahrendes Auto siehst, vergleicht dein Gehirn das momentane Bild mit abgespeicherten Bildern von unscharfen Objekten. Wenn dein Gehirn nun ein dazu passendes Bild gefunden hat, wird dieses durch dem damit verknüpften scharfen Bild aus deinem Gedächtnis ersetzt.

Dies ist nur eine der vielen Leistungen, mit denen unser Gehirn den relativ bescheidenen Input unserer Sinnesorgane zu jener Qualität “hochrechnet”, die wir als selbstverständlich wahrnehmen.


Woher kommt das Ich?

Diese Konstruktionstätigkeit des Gehirns betrifft aber nicht bloß die äußere Wahrnehmung der Welt, sondern richtet sich auch nach innen und das mitunter noch viel perfekter.

So erzeugt unser Gehirn aus dem Zusammenspiel eines unvorstellbar komplexen Netzwerkes von elektrisch erregter Nervenzellen die Illusion der Existenz eines Ichs.

Die Idee, dass wir alle kohärente Individuen sind, die unsere Körper bewohnen, beinahe wie eine Art Puppenspieler, ist uns vollkommen selbstverständlich und deckt sich mit unseren alltäglichen Erfahrungen. Die Existenz unseres Ichs in Frage zu stellen kommt uns unsinnig, ja nahezu frevelhaft vor.

Dieses permanent generierte Ich setzt sich aus einer Unmenge an Abläufen und Mechanismen zusammen, wie es der Psychologe Bruce Hood in seinem Buch “The Self Illusion” beschreibt.

Den Kern unsere Ichs festzuhalten scheint fast unmöglich. Hood benutzt dafür das Bild eines Spinnennetzes ohne Spinne. Dass es sich dabei lediglich um eine Illusion handelt, bedeutet jedoch nicht, dass sie nicht real ist. Eine Illusion bedeutet, dass sie nicht ist, was sie scheint. Hood verdeutlicht dies mit dieser bekannten optischen Täuschung:


Uns ist beim zweiten Blick klar, dass der Eindruck des weißen Quadrates nur durch die Aussparungen der vier Kreise entsteht. Würde man sich beim Betrachten des Bildes das Gehirn näher ansehen, könnte man feststellen dass die zuständigen Neuronen genau so feuern, als wäre das Quadrat tatsächlich da. Laut Hood könne man sich die Illusion des Ichs ähnlich vorstellen, wie dieses Bild:


Die Charakterisierung des Selbst ist demnach eine Eigenschaft, die sich aus allen Einflüssen ergibt, die dich in deinem Leben geformt haben. Ohne diese Einflüsse würde dein Ich genauso wenig existieren, wie das weiße Quadrat ohne die schwarzen Kreissegmente.


Modelle des Verstandes

Der Neurologe und Psychologe Michael Graziano erklärt in seiner

Aufmerksamkeits-Schema-Theorie das Zustandekommen dieser Ich-Illusion als evolutionäre Entwicklung. Das Gehirn konstruiert einfache soziale Modelle des Verstandes und nutzt sie, um sich selbst und seine Welt zu verstehen.

Graziano illustriert dies mit folgendem Beispiel:


Bill, schaut auf eine heißen Tasse Kaffee, die vor ihm steht. Voller Vorfreude widmet er der Tasse seine voll Aufmerksamkeit.. Dabei wird er von Abel, beobachtet. Abel nimmt wahr, dass Bill sich auf seinen Kaffee fokussiert und wahrscheinlich gleich von ihm trinken wird.


Jener Prozess, die Absichten und Gedanken seines Gegenübers zu lesen und einem anderen Wesen Bewusstsein zuzuschreiben war ein wichtiger Entwicklungsschritt in der Evolution.

Dies tun wir auch bei Objekten von denen wir intuitiv und wider besseren Wissens sogar bei eigentlich unbelebten Objekten, wie Graziano bei einer TED-Konferenz unter Verwendung einer Bauchrednerpuppe verdeutlichte.

Genau diesen Vorgang überträgt Graziano auf unser Gehirn: Es beobachtet sich selbst beim Denken und generiert dadurch das, was wir als Selbstbewusstsein wahrnehmen.



Eine uralte Suche

Frappant ist die Tatsache, dass im hinduistisch buddhistisch geprägten Kulturraum, die Annahme, dass es sich beim Ich nur um eine Illusion handelt schon vor Jahrtausenden verbreitet war. Im Hinduismus bezeichnet Maya die große Illusion hinter der sich das wahre Wesen der Welt und des Selbst verbirgt.

Zentrales Ziel des Buddhismus ist es, sich von der Ich-Illusion zu befreien um das Anatta, das Nicht-Selbst zu erkennen.

Das Streben diesem Rätsel des Bewusstseins auf die Spur kommen zu wollen, ist vermutlich ebenso alt wie das Bewusstsein selbst, auch wenn diese Suche im Umfeld der Abrahamitischen Religionen kaum eine Rolle gespielt hat oder viel mehr verhindert wurde.


Die Illusion durchschauen

Die Meditation bietet die Möglichkeit sich diesem Rätsel durch direktes Erleben anzunähern. Der modern säkulare Zugang zur Meditation, hat durch wissenschaftliche Erkenntnisse, diese von religiöser und esoterischer Vereinnahmung befreit und dadurch allen Menschen unabhängig ihrer Religion und Weltanschauung zugänglich gemacht.


Dies ist zweifellos eine gute Sache, aber gleichzeitig merkt man auch, dass Meditation durch die Reduktion auf das rein Methodische zu sowas wie einem mentalen Stressball verkommt, zu einem Tool, dass uns hilft innerhalb der Illusion besser zu leben, anstatt uns von ihr zu befreien.

Denn genau diesen Zweck und dieses Potential hat das regelmäßige Meditieren und daran ist gar nichts abgehoben Schräges.

Eine weit verbreitete falsche Vorstellung über den Zweck der Meditation ist es, sie diene dazu das Denken vollkommen abzustellen. Dies ist ganz und gar unmöglich.

Tatsächlich lernst du während der Meditation den aufkommenden Gedanken und Gefühlen nicht anzuhaften, sondern sie einfach beim Auftauchen und Vorüberziehen zu beobachten. Simpel ausgedrückt: Du nimmst die Gedanken wahr ohne aus ihnen eine Story zu machen.


Dies gelingt dir indem du dich auf ein an sich interessantes, neutrales Betrachtungsobjekt fokussierst. Üblicher- und naheliegender Weise ist dies meist der eigene Atem. Sobald du also merkst, dass deine Aufmerksamkeit von deinem Atem zu einem Gedanken gewandert ist, lenkst du den Fokus wieder auf den Atem und lässt den Gedanken ziehen.

Genau dieses Abwandern und Zurückführen der Aufmerksamkeit ist letztlich die Meditation. Nach einiger Zeit wirst du feststellen, dass du deine Gedanken und Gefühle genauso beobachtest wie deinen Atem. Du identifizierst dich in diesem Moment nicht mehr mit deinen Gedanken, wie du es sonst im Alltag tust, sondern siehst dir quasi selbst beim Denken zu. Du beobachtest ohne dass du dich als Beobachter wahrnimmt.

Das geschieht nur für Augenblicke und sobald du dir ihrer gewahr wirst, sind sie auch schon wieder vorüber, dennoch wirst du durch regelmäßiges Üben merken, dass diese Momente öfter und länger auftreten und mit der Zeit auch deine Sichtweise auf dein Ich im Alltag prägen.


Vielen mag die Vorstellung, das Ego könne sich auflösen beängstigend. Wenn man aber bedenkt wieviel Leid dieses Ego bei uns selbst und unserer Umwelt verursacht, erkennen wir vielleicht die Vorteile, die damit einhergehen, wenn man sich zumindest Zeitweise von der Ich-Illusion entfernt. Die Frage, was denn unser Ich ist, haben wir uns lange genug damit beantwortet, dass wir uns mit unseren Besitztümern, unserem Ruf und unserer sozialen Stellung identifiziert haben.

Den die Sorge der Ich-Auflösung so sehr ängstigt, dass es ihn vom Meditieren abhält sei gesagt: Es wird dir ohnehin nicht gelingen den Zustand des Nicht-Ichs länger oder gar permanent aufrecht zu erhalten. Wer dies von sich behauptet ist entweder ein wahrer Buddha oder ein Scharlatan.

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